Das Smartphone hat viele Gesichter. Für die meisten Menschen ist der kleine Taschen-Computer kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken. Rund 92 Prozent der Deutschen besitzen aktuell ein Smartphone; selbst unter den Über-65-Jährigen liegt der Nutzeranteil inzwischen bei 89 Prozent, wie die Deloitte Digital Consumer Insights 2024 zeigen. Kein anderes elektronisches Gerät ist ansatzweise so beliebt. Und die Einsatzmöglichkeiten nehmen eher zu als ab. Im Mittelpunkt stehen dabei Messaging-Dienste, Social Media Apps sowie Anbieter von leicht verdaulichen Inhalten wie Short-Form-Videos.
Doch die Smartphone-Nutzung beschränkt sich nicht nur auf Entertainment-Angebote, es gewinnt auch in sensiblen Bereichen wie Bezahlvorgängen oder dem Tracken von Gesundheitsdaten an Bedeutung. So wurden 2021 zwar nur drei Prozent der Transaktionen im stationären Handel und drei Prozent der Zahlungen zwischen Privatpersonen mit dem Smartphone abgewickelt, doch die Bundesbank geht in ihrer jüngsten Mobile-Payments-Studie (Januar 2023) von einer Ausweitung der mobilen Bezahlverfahren aus. Denn technisch sei kontaktloses Zahlen großflächig an den Ladenkassen in Deutschland möglich; hinzukomme, dass das Bezahlen mit Smartphone, Fitnessarmband oder Smartwatch mit durchschnittlich 14 Sekunden im Vergleich zu den anderen Zahlungsmitteln am schnellsten gehe.
Das Verhältnis vieler Verbraucherinnen und Verbraucher zu dem digitalen Helferlein ist gespalten.
Mit der Verbreitung sogenannter Wearables nimmt auch die individuelle Datenerhebung sowie die Bereitschaft, diese Daten zu teilen, zu. Knapp zwei Drittel (62%) der Verbraucherinnen und Verbraucher tracken ihre persönlichen Fitness-, Vital- und Gesundheitsdaten, wie unsere aktuellen Smartphone-Nutzungstrends zeigen. Dabei werden die von den Wearables gemessenen Daten in der Regel auf dem Telefon genutzt. Mehr als die Hälfte der Befragten ist außerdem bereit, diese mit ärztlichem Personal zu teilen, um beispielsweise Diagnosen zu erleichtern oder zu validieren.
Smartphone-Zeit nimmt weiter zu
Dass die Deutschen das breite Funktionsspektrum der smarten Geräte schätzen, zeigt auch ihr Nutzungsverhalten. Es hat bereits in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und auch in unserer aktuellen Analyse geben 48 Prozent der Befragten an, ihre Smartphone-Verwendung habe in den vergangenen zwölf Monaten etwas oder stark zugenommen. Bei jungen Erwachsenen ist dieser Trend besonders ausgeprägt: Drei von vier Menschen zwischen 18 und 24 Jahren berichten in der im Mai 2024 durchgeführten Befragung, ihre Nutzung habe etwas oder stark zugenommen.
Das heißt jedoch nicht, dass sie mit sich und ihrem Verhalten glücklich sind. Im Gegenteil: Das Verhältnis vieler Verbraucherinnen und Verbraucher zu dem digitalen Helferlein ist gespalten. Über alle Altersklassen hinweg geben 49 Prozent an, ihr Smartphone wahrscheinlich oder definitiv zu viel zu nutzen. Das sind deutlich mehr als in einer vergleichbaren Befragung vor fünf Jahren: Damals lag ihr Anteil bei 38 Prozent. Heute geht bei knapp 70 Prozent der unter 35-Jährigen der erste Blick nach dem Aufwachen auf den Handy-Bildschirm. Mehr als jeder Zweite von ihnen legt das Gerät auch während der Mahlzeiten nicht zur Seite.
Mit entsprechenden Auswirkungen. Viele Befragte beobachten unerwünschte Begleiterscheinungen bei sich selbst, die sie auf ihr eigenes Nutzungsverhalten zurückführen: Knapp ein Viertel sagt, sie schlafen später als geplant ein oder fühlen sich von anderen Aufgaben abgelenkt. Über alle Altersgruppen hinweg haben 56 Prozent der Befragten schon mindestens eine der typischen, negativen Nebenwirkungen bei sich selbst beobachtet. Unter den jungen Smartphone-Nutzern (18 bis 24 Jahre) liegt der Anteil bei außergewöhnlich hohen 93 Prozent.
Hat die Smartphone-Nutzung eine Sättigungsgrenze erreicht?
Am anderen Ende der Altersskala zeigt sich ein anderes Bild. Gerade einmal 23 Prozent der Befragten über 65 berichten von einem im Jahresverlauf gestiegenen Smartphone-Konsum. Nur jede fünfte Befragte schätzt in dieser Altersgruppe die eigene Nutzung als zu hoch ein. Negative Folgen des eigenen Verhaltens werden in diesem Segment ebenfalls deutlich weniger wahrgenommen. Der Trend geht also nicht komplett an der älteren Generation vorbei, das Ausmaß erweist sich aber als deutlich moderater.
Trotz Unwohlsein: Verzicht ist nicht in Sicht
Doch selbst wenn die eigenen Nutzungsgewohnheiten immer häufiger hinterfragt werden, kommt ein radikaler Verzicht auf das Smartphone für kaum jemanden ernsthaft in Frage. Nur gut drei Prozent der Deutschen können sich vorstellen, komplett auf ihr Smartphone zu verzichten. Als Gesellschaft und Wirtschaft sind wir dennoch gut beraten, diese Trends ernst zu nehmen – in all ihrer Widersprüchlichkeit.
Das hat auch die Industrie erkannt. Erste Hardware-Hersteller sprechen von einem „great switch-off trend“, der 2021 begonnen hat und bieten Mobiltelefone mit reduzierten Funktionen gezielt an, um Verbraucherinnen und Verbrauchern die Verringerung ihrer Digital-Zeit zu erleichtern. In den USA und Großbritannien werden vermehrt Altersuntergrenzen für die Smartphone-Nutzung diskutiert, doch auch dieser Trend ist nicht eindeutig. So spricht sich die Industriestaatenorganisation OECD – ohne die Risiken kleinzureden – gegen ein striktes Handyverbot an Schule aus, während Forscher hierzulande vor einer Verschlechterung des Schulklimas durch das Handy warnen.
Die sehr unterschiedlichen Auswirkungen der Smartphone-Nutzung bringt die Kommunikationswissenschaftlerin Lara Wolfers von der Universität Amsterdam im Gespräch mit der ZEIT auf den Punkt: Mit Blick auf die Eltern-Kind-Beziehung könne der Ablenkungseffekt durch das Handy die Interaktion kurzfristig negativ beeinflussen, doch das Smartphone ermögliche vielen Eltern auch eine effiziente Organisation des Familienalltags oder eine kurze Pause in Zeiten ständiger Verfügbarkeit. Solche Effekte seien schwer zu erforschen, zeigen sich laut Wolfers aber in vielen Studien.
Wachstumsgrenzen erkennen
Hat die Smartphone-Nutzung also eine Sättigungsgrenze erreicht? Wird sich der Trend umkehren, sodass es zu einem bewussteren und reduzierten Konsum kommt? Auch wenn die Auswirkungen der allgegenwärtigen Digitalisierung noch nicht vollständig absehbar sind: Ein Weiter-so wird es absehbar nicht geben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher senden klare Warnsignale, die Smartphone-Verbreitung ist praktisch nicht mehr steigerungsfähig und auch ihre Screen Time werden viele nicht mehr bedeutend steigern.
Weiteres Wachstum im gesättigten Smartphone-Segment ist in erster Linie durch eine noch zielgruppenspezifischere Ansprache und / oder die Verdrängung bestehender Angebote möglich. Darüber hinaus ist es ratsam, den Fokus auf Qualität zu richten, sowohl bei den Endgeräten als auch den Inhalten und sich in diesem Zug an der Entwicklung alternativer Technologien zu beteiligen. Und nicht zuletzt sollten sich die Anbieter der gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Angebote bewusst sein und einen authentischen Umgang damit finden. Die positiven Aspekte einer selbstkritischen Kommunikation sind nach unserer Überzeugung größer als die Gefahr wahrnehmbarer Umsatzeinbußen.
Andreas Gentner
ist Partner bei Deloitte und berät seine Kunden in der Telekommunikations- und Medienbranche in der Planung und Durchführung von Transformationsprojekten sowie bei strategischen Entscheidungen. Der promovierte Betriebswirt ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und als Sprecher regelmäßig zu Gast bei Branchenveranstaltungen im In- und Ausland.
Ralf Esser
leitet das deutsche Sektor-Research-Team bei Deloitte. Er ist außerdem verantwortlich für Industry Insights im Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Branche hat der studierte Volkswirt zahlreiche Studien verfasst und tritt regelmäßig als Referent bei Fachveranstaltungen und Konferenzen auf.