Es ist ein Projekt mit Signalwirkung und zugleich ein cleverer Schachzug des Energieversorgers KMW. Denn das Unternehmen aus Mainz erschließt ein neues Geschäftsmodell. Am 30. Oktober diesen Jahres wurde der Spatenstich für den Bau eines eigenen Rechenzentrums gesetzt. Dort wird es Flächen für Server vermieten – bis hin zum Großrechner. Der Strategieschwenk vom Betreiber von Gas- und Windkraftwerken hin zum IT-Dienstleister folgt einem Kalkül: Denn immer mehr Unternehmen wollen ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern. KMW hilft ihnen dabei mit einem hochmodernen und energieeffizienten Rechenzentrum.
Die Abwärme der Server, die bei vielen anderen Rechenzentren achtlos in die Umwelt gepustet wird, wird ins Fernwärmenetz fließen. Die Energie zum Betrieb des Rechenzentrums auf der Größe von drei Fußballfeldern stammt aus eigenen Windkraftwerken. Und auch die Kühlung der Server wird ressourcenschonend sein: Nicht energieaufwendige gekühlte Luft bringt die Server auf Niedrigtemperatur, sondern Wasser aus dem benachbarten Rhein. Das erste der drei Gebäude soll 2025 fertig werden. „Schon jetzt bekunden Unternehmen aller Größen ihr Interesse an unseren Flächen,” sagt Markus Blüm, Geschäftsführer der eigens für den Rechenzentrumsbetrieb gegründeten Gesellschaft Green Mountain KMW Data Center. „Der Bedarf an grüner Rechenleistung wächst exorbitant.”
Künstliche Intelligenz als Energietreiber
Die Initiative und das Angebot von KMW könnten wegweisend sein für die deutsche Wirtschaft. Denn es besteht Handlungsbedarf. Deutsche Rechenzentren verbrauchen laut dem Digitalverband Bitkom jedes Jahr 16 Milliarden Kilowattstunden Strom – so viel wie die Jahresleistung von anderthalb Atomkraftwerken. Der erfolgreiche Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) dürfte den Verbrauch weiter steigern. Denn vor allem das Training und die Nutzung von Algorithmen für KI erfordern viel Rechenleistung. Im Jahr 2030 werden durch den Betrieb von Rechenzentren in Deutschland daher rund elf Millionen Tonnen an CO2-äquivalente Treibhausgasen entstehen. Das sind etwa 50 Prozent mehr als im Jahr 2021 und rund 1,5 Prozent dessen, was in Deutschland insgesamt im Jahr 2022 verursacht wurde. So hat es das von der Bundesregierung geförderte Kompetenzzentrum Green ICT in einer aktuellen Studie errechnet.
Wie also können Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck durch IT – über energieeffiziente Rechenzentren hinaus – schon jetzt senken? Eine wichtige Stellschraube ist die Auslastung der Server. „Es herrscht noch der Trend, Rechenkapazität zu großzügig zu konzipieren”, sagt Marina Köhn, Wissenschaftlerin beim Umweltbundesamt (UBA) und Expertin für Grüne IT. Laut Köhn liegt die Auslastung von Servern mit Rechenprozessen in der Regel unterhalb von 20 Prozent und selten höher als 30 Prozent. Die restlichen IT-Ressourcen bleiben ungenutzt. Energie verbrauchen sie trotzdem.
Die opulente Auslegung der Rechenleistung setzt einen Dominoeffekt in Gang. „Mehr IT-Hardware bedeutet zudem auch mehr Kühlung”, sagt Köhn. Laut dem UBA ist die Klimatisierung der Server mit 30 Prozent an den Gesamtumweltbelastungen eines Rechenzentrums beteiligt. 70 Prozent entfallen auf die IT. „Im ersten Schritt hilft es Unternehmen, mit einem verbesserten Monitoring Potenziale für Energieeinsparungen zu erkennen”, sagt Köhn.
Berechnung des IT-Fußabdrucks mithilfe von Rechenzentren
Betreiber kommerzieller Rechenzentren helfen ihren Unternehmenskunden daher, den Energieverbrauch ihrer IT zu überwachen. Denn immer mehr Firmen fordern dies. „Wir sind uns mehr denn je der Bedeutung bewusst, die unsere Kunden der möglichst genauen Berechnung ihres CO2-Fußabdrucks beimessen, sagt Michel Paulin, Geschäftsführer von OVH-Cloud. Das Unternehmen betreibt 37 Rechenzentren auf vier Kontinenten.
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OVH bietet seinen Kunden daher seit September einen sogenannten Carbon Calculator an. Acht Monate hat OVH nach eigenen Angaben an dem Online-Rechner getüftelt. Jetzt liefert er Kunden monatliche Berichte über ihre CO2-Emissionen im Zusammenhang mit ihrer Cloud-Nutzung bei OVH. Berechnet wird nicht nur der Energieverbrauch der dortigen Server, sondern auch der Lebenszyklus von Serverkomponenten beginnend beim Transport aus Fernost, sowie das Abfallmanagement.
Seine Einführung könnte auch dem gestiegenen Druck auf Betreiber von Rechenzentren geschuldet sein. Denn dass hier riesige Energiesparpotenziale liegen, hat auch der Staat längst erkannt. Nach Angaben der Gauß Allianz, einem Forschungsverbund der „High Performance Computing” fördert, verbrauchen Rechenzentren in Deutschland rund drei Prozent des nationalen Stroms. Die Politik zwingt Rechenzentrumsbetreiber nun zum Sparen. Sie hat kürzlich das Energieeffizienzgesetz verabschiedet.
Demnach müssen Rechenzentren unter anderem ab dem ersten Januar des kommenden Jahres 50 Prozent ihres Stromverbrauchs bilanziell durch Strom aus erneuerbaren Energien decken, ab 2027 sind es 100 Prozent. Um das Gesetz wurde unter den Parteien lange gerungen. In den Augen von Kritikern greift es zu kurz. Der Pferdefuß: Laut dem Umweltinstitut München werden dadurch nur die größten und damit ein Prozent der Rechenzentren reguliert. Der Verein bemängelt, das Gesetz sei durch ein „Wehklagen der Branchenlobby” verwässert worden.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) reagiert abwartend. „Welchen Beitrag dieses Gesetz in der Praxis zur Gesamteinsparung leistet, kann im Vorfeld schwer abgeschätzt werden”, sagt Sprecherin Julia Löffelholz. Hinzu kommt: „Eine Abschätzung, ob die hierfür benötigten Strommengen am Markt verfügbar sein werden und welche Folgen das für den Marktpreis dieses Stroms und damit die Betriebskosten der Rechenzentren hat, ist derzeit kaum möglich.“ Das Gesetz verpflichtet zudem Unternehmen mit einem jährlichen Energieverbrauch von mehr als 7,5 Gigawattstunden (GWh), ein Energie- oder Umweltmanagementsystem einzurichten. Der BDEW bezweifelt, dass genügend Energieberater und Zertifizierer zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe Unternehmen die neuen Auflagen erfüllen können.
Rechenzentren in Windkraftwerken
Das Unternehmen Zattoo muss sich zumindest hinsichtlich der Verfügbarkeit von Grünstrom keine Sorgen machen. Der TV-Streamingdienst hat für die Versorgung seines Rechenzentrums mit Grünstrom einen langfristigen Vertrag mit Windcores geschlossen. Das Tochterunternehmen von Westfalenwind betreibt Rechenzentren in Windenergieanlagen. „Als junges Unternehmen war unseren Mitarbeitenden daran gelegen, unseren CO2-Abdruck zu verbessern”, erläutert Oliver Knappmann, Mitglied des Management-Teams sowie Verantwortlicher für die Klimastrategie von Zattoo. Bereits vorher hatte Zattoo Teile der IT in externen Rechenzentren mit bilanziellem Grünstrom, grünem Strom also, dessen ökologische Qualität der Energieerzeugung nicht bewertet werden konnte, untergebracht. „Jetzt nehmen wir den Strom direkt aus dem Windrad. Der Strom wird eigens für unser Rechenzentrum produziert. Das ist noch effizienter.” Bauliche oder finanzielle Nachteile entstünden durch die Unterbringung des Rechenzentrums im Turm der Windenergieanlage nicht.
Zattoo will nun mehr Server in Windrädern aufstellen. Allerdings ist diese Lösung nicht für alle Standorte gleichermaßen geeignet. „Die Umsetzbarkeit hängt von der Lage des Windkraftwerks und den Anforderungen der IT-Anwendung ab. In einigen Fällen bieten die verfügbaren Bandbreiten möglicherweise nicht die nötige Geschwindigkeit für zeitnahe Datentransfers”, erläutert Knappmann. Trotzdem eröffne dieser Ansatz spannende Perspektiven für die Zukunft der Informationstechnologie.
So sieht es auch die Wissenschaft. Die Universität Paderborn hat das Prinzip des Rechenzentrums im Turm der Windkraftanlage zu Beginn des Jahres aufgegriffen. In einem vom Bund geförderten Projekt wollen die Forscher nun herausfinden, wie auch deutlich mehr Rechenleistung energieoptimiert in vielen Türmen verteilt werden kann.