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Gesellschaft

»Wer nicht selbst fährt, kann auch nicht belangt werden«

Noch vor seiner Marktreife wirft das vollständig autonome Fahrzeug viele, darunter auch ethische Fragen auf. Franziska Poszler, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik und am Institute for Ethics in AI der TU München, diskutiert mit Andreas Herzig, Global Head Automotive im Bereich Risk Advisory bei Deloitte.

Das Interview führte Michael Hasenpusch

Illustration von einem Auto, wo ein Mann drin sitzt, mit einem Laptop

Frau Poszler, Autofahrende treffen während der Fahrt ständig Entscheidungen, auch ethische. Warum wird die Frage nach ethischem Handeln nur beim autonomen Fahren gestellt und nicht beim Autofahren im Allgemeinen?

Franziska Poszler › Im Prinzip wurde diese Fragestellung schon diskutiert und findet sich in der existierenden Gesetzgebung wieder. Durch die Fürsorgepflicht beispielsweise werden menschliche Fahrer dazu angehalten, nicht fahrlässig zu entscheiden und zu fahren. Die aktuelle Ethik-Diskussion ist allerdings wesentlich ausführlicher, denn für autonome Autos können – und müssen – Entscheidungen erstmals vorab getroffen werden. Dabei handelt es sich nicht um intuitive, menschliche, sondern um programmierte Entscheidungen. Ihre Programmierung hat weitreichende Konsequenzen für alle Verkehrsteilnehmer. Deshalb hat die aktuelle Diskussion eine neue Qualität.

Welche Konsequenzen sind das?

Poszler › Das lässt sich anhand einer von uns entwickelten Studie illustrieren. Dabei haben wir verschiedene Algorithmen geprüft, beispielsweise einen „egoistischeren“, der nur das Risiko des eigenen Fahrzeugs berücksichtigt, und einen „faireren“, der das Risiko für alle Verkehrsteilnehmer berechnet. Das Ergebnis: Schwache Straßenteilnehmer wie Fahrradfahrer sind höherem Risiko im Straßenverkehr ausgesetzt bei einem autonomen Fahrzeug, das auf einem egoistischen Algorithmus basiert. Das zeigt, warum es so wichtig ist, diese Diskussion vorab zu führen.

Herr Herzig, wie beurteilen Sie das aus regulatorischer und technischer Sicht?

Andreas Herzig › Bereits heute greift hier eine Reihe von Gesetzen. Das ist auch wichtig, denn es gibt jetzt erstmals ein Fahrzeug, das für Level 3 des autonomen Fahrens zugelassen ist und mit 60 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen fahren darf. In diesem vorgegebenen Rahmen darf man nun die Hände vom Steuer nehmen und sich anderen Tätigkeiten widmen. Wer aber nicht mehr selbst fährt, kann auch nicht belangt werden. In Deutschland gibt es das Gesetz zum autonomen Fahren; darüber hinaus ist der AI-Act geplant, mit dem die EU den Einsatz von KI regulieren will. Hinzu kommen die Regularien der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) für die steuernde Software. Auf der technischen Seite ist wichtig, dass aufgrund der vielen Sensorinformationen eine klassisch deterministisch aufgebaute Software nicht in der Lage ist, die Komplexität von Verkehrssituationen angemessen zu berücksichtigen. Zum Einsatz kommen deshalb KI-Systeme, die aufgrund der aufwendig antrainierten Fähigkeiten die aus ihrer Sicht beste Entscheidung treffen. Das Problem hierbei ist, die Kausalität zwischen Trainingsinhalten und Aktionen der KI-Systeme so zu beherrschen, dass die KI in möglichst allen Verkehrssituationen angemessen reagiert.

Sollten die programmierten Entscheidungen der Wirtschaft überlassen werden, oder braucht es vorab einen ethischen Rahmen?

Herzig › Wenn wir es überhaupt zulassen, dass ein Fahrzeug solche Entscheidungen trifft, dann muss es dafür eine Grundlage geben, auf die sich alle Hersteller berufen können. Die Entscheidungsfindung eines autonomen Autos darf sich nicht von Hersteller zu Hersteller unterscheiden. Ein Beispiel: Was passiert, wenn ein autonomes Fahrzeug bemerkt, dass es den Aufprall auf ein vorausfahrendes, bremsendes Auto nicht vermeiden kann? Soll es, um seine Insassen zu schützen, auf den Standstreifen ausweichen und die Personen gefährden, die sich dort aufhalten? Dafür gibt es keine verbindlichen ethischen Regeln, und die gegenwärtige Gesetzeslage, also die StVO, ist auch nicht hilfreich.

Poszler › Richtig, das können wir nicht nur der Industrie überlassen. Das zeigen schon Statements einiger Hersteller in der Vergangenheit, die eher in die Richtung gehen, die Insassen zu schützen und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer nicht zu priorisieren. Aus Sicht der Unternehmen ist dies verständlich, da sie natürlich Fahrzeuge produzieren möchten, die auch vom Kunden abgenommen und gekauft werden. Trotzdem macht dies deutlich, dass auch andere Anspruchsgruppen hierzu gehört werden müssen.

Was wird sich mit der autonomen Zukunft für die Typenzulassung und die fortlaufende technische Prüfung der Fahrzeuge ändern?

Herzig › Seit 2022 werden bei der Typenzulassung für alle neu in Verkehr gebrachten Fahrzeuge drei neue UNECE-Regelungen berücksichtigt. Demnach müssen Fahrzeuge Vorkehrungen zur Cyber Security haben und updatefähig sein, um deren Aktualität zu erhalten. Außerdem stellt die UNECE Anforderungen an autonom fahrende Autos ab Level 3 und sieht unter anderem spezielle Tests vor. Das ist sehr aufwendig, wenn man an die Komplexität heutiger Fahrzeuge von bis zu 100 Steuergeräten denkt. Neu ist auch, dass jeder Fahrzeugtyp gerade im Hinblick auf die genannten Software-Anforderungen alle drei Jahre erneut durch eine Re-Zertifizierung gebracht werden muss. In Zukunft werden Hersteller die Entwicklung ihrer Autos nicht mehr nur bis zum Produktionsstart betrachten, sondern über den gesamten Lebenszyklus.

Hat die Frage nach der ethischen Grundlage des autonomen Fahrens auch eine kulturelle Dimension, wenn das menschliche Leben in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich bewertet wird?

Poszler › Mit der bekannten „Moral Machine“-Studie wurden solche Fragestellungen getestet und es zeigte sich, dass es sowohl globale Präferenzen als auch nationale Unterschiede gibt. Beispielsweise würden die Teilnehmenden weltweit die Rettung generell jüngerer Personen priorisieren und überwiegend versuchen, die Anzahl der Opfer zu minimieren. Nationale Unterschiede gab es allerdings in Bezug auf Geschlecht und sozialen Status. Hersteller und Gesetzgeber sind sich aber einig, dass Faktoren wie Alter, Geschlecht oder sozialer Status generell nicht Teil der Entscheidungsfindung autonomer Fahrzeuge sein sollen und diese dazu technisch derzeit ohnehin nicht in der Lage wären. Andererseits gibt es einen Report einer EU-Expertenkommission, der die kulturellen Dimensionen wieder ins Gespräch brachte: sie sagen unter Anderem, dass Gefahren-Situationen im Straßenverkehr durch von der Gesellschaft „geteilte“ ethische Prinzipien geregelt werden sollen. Auch das ist Teil der aktuellen Diskussion.

Es ist denkbar, dass ein Teil der Verkehrsteilnehmer autonome Fahrzeuge ablehnt. Wie könnte ein Umgang damit aussehen?

Poszler › Manche werden sich den Spaß am Selberfahren nicht nehmen lassen, das könnte ein Grund sein, das autonome Fahren abzulehnen. Der Hauptgrund für Widerstand wird jedoch die Angst sein, die Technik sei nicht robust und sicher genug. Über den Spaß soll jeder selbst entscheiden, hier sollten wir uns in die persönliche Freiheit nicht einmischen. Mit dem Misstrauen gegenüber der Technik sollten wir allerdings proaktiv umgehen, indem wir die Fähigkeiten der Fahrzeuge realistisch darstellen, die Verantwortlichkeiten transparent machen, Unfallgründe erläutern und Tests sowie Schulungen anbieten, um Vertrauen aufzubauen.

»Faktoren wie Alter, Geschlecht oder sozialer Status sollten generell nicht Teil der Entscheidungsfindung autonomer Fahrzeuge sein.«

Franziska Poszler Wissenschaftlerin

Autonome Fahrzeuge sammeln Daten in der realen Welt. Welche Verantwortung haben dabei die Unternehmen?

Poszler › Allein aus funktionalen Gründen müssen viele Daten – wie Tempo, Fahrverhalten oder der exakte Standort – erhoben werden. Das heißt, hier müssen Mitfahrende einwilligen, sonst kann das Auto nicht fahren. Wichtig ist, dass die Datenerhebung transparent gemacht wird und dass eine Weitergabe der Daten an Dritte nur mit einer besonderen Begründung stattfinden kann. Herzig: Wobei wir hier zwischen zwei Sorten von Daten unterscheiden sollten. Die fahrzeugbezogenen Daten werden für den Betrieb und die Weiterentwicklung des Fahrzeugs benötigt. Personenbezogene Daten sollten nur auf freiwilliger Basis und nach explizitem Einverständnis erhoben und gespeichert werden.

»Vollautonome Fahrzeuge werden, sobald sie auf dem Markt sind, unter genauester Beobachtung stehen und müssen wesentlich besser sein als Menschen.«

Andreas Herzig Global Head Automotive im Bereich Risk Advisory bei Deloitte

Theoretisch machen autonome Fahrzeuge den Straßenverkehr sicherer. Könnte das zu einer Verpflichtung führen, sie zu nutzen?

Herzig › Ein Risiko, das man nicht selbst beeinflussen kann – wie beispielsweise bei einer Flugreise als Passagier – wird immer überproportional groß wahrgenommen. Genauso werden sich die Mitfahrenden in einem lenkradlosen Auto fühlen. Deshalb werden vollautonome Fahrzeuge, sobald sie auf dem Markt sind, unter genauester Beobachtung stehen und müssen wesentlich besser sein als Menschen. Daraus könnte eine moralische Verpflichtung entstehen, sie zu nutzen. Eine gesetzliche Pflicht würde schon daran scheitern, dass viele Menschen sich die zunächst teuren Fahrzeuge nicht leisten können. Mobilität nur für Bessergestellte sollte nicht unsere Zukunftsvision sein.

Porträt von Franziska Poszler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Franziska Poszler

Franziska Poszler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik und am Institute for Ethics in Artificial Intelligence an der Technischen Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Technikethik und Moralpsychologie. Sie hat den Master-Studiengang Organizational Behaviour an der London School of Economics and Political Science absolviert und hält einen B.Sc. in Betriebswirtschaftslehre, sowie einen B.A. in Philosophie.

Porträt von Andreas Herzig, Deloitte Mitglied des Führungsteams von Risk Advisory

Andreas Herzig

Andreas Herzig ist bei Deloitte Mitglied des Führungsteams von Risk Advisory in Deutschland und leitet weltweit den Sektor Automotive für den Geschäftsbereich Risk Advisory. Er hat sich auf Themen rund um Technologie, Digitalisierung und Regulierung in der Automobilbranche spezialisiert. Insbesondere die Digitalisierung von Fahrzeugen, der Supply Chain sowie des Retail-Bereichs in der Automobilbranche stehen im Fokus von Andreas Herzig.