Anzeigensonderveröffentlichung

Gesellschaft

Nicht alles, was wir können, sollten wir auch tun

Mit dem Einsatz von Technologien wie künstlicher Intelligenz können Unternehmen ihre Effizienz steigern und Kosten sparen. Doch ist das in jedem Fall und im jeweils größtmöglichen Umfang auch ratsam? Maren Hauptmann, Partnerin und Portfolio Lead Human Capital bei Deloitte, spricht im Interview über die zunehmende Bedeutung von ethischen Fragen in diesem Zusammenhang.

Das Interview führte Michael Hasenpusch

Foto von Maren Hauptmann - draußen, vor einer Grünen Hecke

Frau Hauptmann, KI und Automatisierung ermöglichen Unternehmen weitreichende Effizienzsteigerungen, bergen aber das Risiko der Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit. Wie erleben Sie diesen Widerspruch?

Maren Hauptmann › Die Nutzung dieser Technologien nimmt zu, und genau dort, wo Technologie und Mensch aufeinandertreffen, entstehen Fragen – manchmal ganz überraschender Natur. Lassen Sie mich das an einem Beispiel illustrieren. Um Unfälle zu minimieren, wurden in den USA Fernfahrer und ihre Fahrten für eine Studie technologisch überwacht. Da die Fahrer eine andere Absicht vermuteten, nämlich personelle Einsparungen, fuhren sie länger und machten weniger Pausen. Der Einsatz von Technologie am Arbeitsplatz kann also nicht nur zu völlig konträren Effekten führen, sondern unter den Mitarbeitenden unter Umständen eine ablehnende Haltung auslösen. Da entsteht bereits eine ethische Frage: Nutze ich die Technologie, um etwas vermeintlich Positives zu erreichen, oder muss ich erst den möglichen negativen Effekt ihres Einsatzes prüfen?

Welche Bedeutung haben ethische Standards in diesem Zusammenhang?

Hauptmann › Zumindest in den entwickelten Ländern der Welt haben die meisten Unternehmen bereits ethische Standards formuliert, oft gibt es sogar Ethikbeauftragte. Die Frage ist, ob diese Beschäftigung mit ethischen Standards diesen Punkt – wo Mensch und Technologie im Arbeitsprozess aufeinandertreffen – bereits berücksichtigen. Meistens ist das nicht der Fall, da die Standards viel weiter gefasst sind. Sie befassen sich mit Compliance, mit dem Miteinander von Menschen oder mit der Vertragsgestaltung, aber noch viel zu selten mit dem Thema Mensch und Technologie in einem Team.

»Nutze ich die Technologie, um etwas vermeintlich Positives zu erreichen, oder muss ich erst den möglichen negativen Effekt ihres Einsatzes prüfen?«

Wo tauchen ethische Fragen in Organisationen heute vor allem auf?

Hauptmann › Ein Aspekt ist die Reaktion der Mitarbeitenden auf die Einführung einer Technologie wie KI. In Europa, insbesondere in Deutschland, ist hier oft die Sorge zu beobachten, die Roboter würden demnächst übernehmen und uns Menschen überflüssig machen. Ein zweiter Aspekt besteht in neuen Regularien seitens des Gesetzgebers, die Unternehmen beachten müssen. Drittens nehmen die Erwartungen der Kunden an die ethische Haltung von Unternehmen und Organisationen allgemein zu. Das geschieht bereits bei Themen wie Umwelt oder Menschenrechte, etwa im Zusammenhang mit Fast Fashion, und ist auch beim Thema Technologie zu beobachten. Viertens hilft mitunter dieselbe Technologie, die sich Unternehmen zunutze machen wollen, auch den Interessengruppen, die sich dank ihrer viel besser organisieren können, als das früher der Fall war. Durch den Einsatz von Social Media hat auch eine kleine Gruppe heute das Potential, großen Druck auszuüben.

»Die langfristige, kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz von KI im Unternehmen lohnt sich – auch wirtschaftlich.«

Sollten oder müssen Unternehmen den Einsatz von KI offenlegen?

Hauptmann › Sobald mithilfe der Technologie die Tätigkeit des Einzelnen im Fokus steht, gibt es grundsätzlich die Pflicht zur Offenlegung und natürlich auch Mitspracherechte der Mitarbeitervertretungen. Zudem sind die umfangreichen Datenschutzanforderungen zu beachten. Bei einem Versandhändler in Deutschland wurden zum Beispiel die Packleistungen der einzelnen Mitarbeitenden beobachtet, und die Auswertung floss in die Entscheidung ein, ob ein Kurzzeitvertrag verlängert werden sollte oder nicht. Das wurde gerichtlich untersagt. Wird künstliche Intelligenz eingesetzt, um Prozesse ohne Personenbezug effektiver zu gestalten, muss das nach außen nicht kommuniziert werden. Generell sollten sich Unternehmen fragen, welchen Anspruch sie über die gesetzlichen Anforderungen hinaus an sich und ihre Transparenz haben. Insbesondere in dieser noch sehr frühen Phase der Industrie 4.0 sind wir gut beraten, durch einen sorgsamen und transparenten Einsatz neuer Technologien Vertrauen bei Mitarbeitenden und in der Gesellschaft zu fördern.

Unternehmen agieren wirtschaftlich. Warum sollten sie sich ethisch mit dem Einsatz von KI und Automatisierung auseinandersetzen?

Hauptmann › Das hängt sehr davon ab, wie langfristig die Entscheider in Unternehmen oder Organisationen bei diesem Thema denken. Nehmen wir das Beispiel der Fernfahrer und des Versandhändlers. In beiden Fällen gab es kurzfristige Effekte, die Mitarbeitenden des Versandhändlers packten schneller, die Fernfahrer machten weniger Pausen. Nun ist es aber bekannt, dass Mitarbeitende, die weniger Pausen einlegen, mehr Fehler machen und zudem körperliche Schäden erleiden können, durch Überlastung oder durch Unfälle. Das wiederum führt zu wirtschaftlichen Schäden für die Unternehmen, wenn beispielsweise Lieferungen nicht zugestellt werden. Der Reputationsschaden ist dabei nicht eingerechnet, der durch Medien und Interessengruppen verstärkt werden könnte. Dies gilt auch für den vorhin angesprochenen Aspekt des Vertrauens. In jedem Fall ist es so, dass sich eine langfristige, kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz von KI und anderen modernen Technologien im Unternehmen lohnt – auch wirtschaftlich.

Welche zentralen Dimensionen beim Einsatz von KI und anderen Technologien müssen Unternehmen berücksichtigen, um wirtschaftlich weiterhin erfolgreich zu sein?

Hauptmann › Die eigentliche Herausforderung ist es, Mensch und Technologie zusammenzuführen. Welche Technologie wird mit oder in welchen Teams genutzt? Wie wird gesteuert? Wie verändern sich dadurch Einsatzlogiken von Teams? Wie wird Performance in einem solchen kombinierten Team gemessen? Und schließlich: Wie lässt sich denn diese Arbeitsbeziehung operationalisieren im Sinne einer Aufteilung der Aufgaben: Was macht der Mensch und was die Technologie? Vor zwei Jahren haben wir im Autorenteam unserer jährlichen „Human Capital Trends“-Studie schon diskutiert, ob nicht auch Technologien einen HR-Businesspartner haben sollten, um ihren Lebenszyklus zu prüfen und sie – falls nötig – zu „warten“. So weit sollte bei einer echten Operationalisierung von Technologie in der Organisation gedacht werden.

Was würde eine Wartung an dieser Stelle bedeuten?

Hauptmann › Gut vorstellbar ist das am Beispiel der Robotik, wenn mechanische Teile ersetzt oder die Programmierung an neue Aufgaben angepasst werden muss. Beim Einsatz von KI muss sicherlich der Algorithmus immer wieder weiterentwickelt werden. Schließlich werden ständig auch neue Technologien entwickelt, und es kommt der Punkt, an dem die alten ersetzt werden müssen.

»In Wirtschaftsstudiengängen wird mittlerweile auch Ethik gelehrt, aber diese Weiterbildungen müssen die Unternehmen bieten.«

Auf welche neuen ethischen Fragen sollten Führungskräfte heute und in Zukunft vorbereitet sein?

Hauptmann › Führungskräfte werden lernen müssen, dauerhaft abzuwägen zwischen dem Nutzen, den eine Technologie theoretisch für das Unternehmen, seine Mitarbeitenden und seine Kunden bietet, und ihren möglichen Nachteilen. Der zweite Punkt ist, das Mindset der Mitarbeiter hinsichtlich des Einsatzes von KI zu fördern. Es muss ein Thema für alle werden, die Entwicklungsteams der Technologien ebenso wie die späteren Anwender. Die Grundfragen der Führungskräfte werden lauten: Können wir es technisch, ist es rechtlich erlaubt, und wie sollten wir es tun? Gerade weil die Erfahrungen mit den Technologien am Arbeitsplatz noch nicht vollumfänglich vorliegen, sollten Unternehmen eine Möglichkeit finden, die möglichen ethischen Spannungsfelder in einem begrenzten Rahmen zu prüfen.

Wie kommen Führungskräfte an das nötige Wissen?

Hauptmann › In Wirtschaftsstudiengängen wird mittlerweile auch Ethik gelehrt, aber diese Weiterbildungen müssen vor allem die Unternehmen bieten. Es sind zweierlei Trainings nötig: Zum einen muss die Awareness für das Thema gesteigert werden. Zum anderen braucht es auch inhaltliche Trainings, die das Wissen um die Fähigkeiten und Grenzen der Technologie vermitteln.

Inwiefern existieren bereits externe Regularien, an die sich Unternehmen halten müssen?

Hauptmann › Eine Rechtsprechung zum Thema existiert schon, das zeigt das Beispiel des Versandhändlers. Auf EU-Ebene existieren bereits Regularien, die von den Unternehmen auch gerne als Einschränkung beklagt werden – in anderen Regionen der Welt sei mehr möglich. Doch das ist nicht ganz richtig, auch in den USA und Asien existieren bereits spezifische rechtliche Regelungen zum Thema. Die Rechtsprechung hat allerdings das Problem, der Realität auf der Spur zu bleiben, denn die Technologien und die Bereitschaft der Unternehmen, sie einzusetzen, entwickeln sich rasant weiter. Es gibt allerdings auch Unternehmen, insbesondere aus dem Technologiebereich, die selbst Governance-Strukturen einführen, beispielsweise Microsoft oder Salesforce. Ein anderes Beispiel ist Merck, die, aus der Bioethik kommend, die Position des zentralen Ethikbeauftragten um die digitale Komponente ergänzt und ein Beratungsgremium geschaffen haben, das mit externen und internen Mitgliedern besetzt wurde.

Was sollten Unternehmen tun, wenn Mitarbeitende durch Technologien abgelöst und nicht mehr gebraucht werden?

Hauptmann › Durch eine rein betriebswirtschaftliche und sehr kurzsichtige Brille betrachtet, würde man sagen: Macht nichts, bekanntlich werden durch den Einsatz neuer Technologien auch immer neue Jobs geschaffen. Dieses Prinzip hatte in den letzten Jahrzehnten bis in die späten 1990er-Jahre Gültigkeit, die Zyklen waren länger und die Verwerfungen nicht so groß. Jetzt sind die Veränderungen viel größer und die Zyklen viel schneller, zudem sind Positionen betroffen, die bisher als sicher galten. Was tun? Stellenabbau ist wahrscheinlich die falsche Antwort, denn an vielen Stellen in Unternehmen herrscht ein Mangel an Talenten. Warum sollte man also nicht beides verbinden – die Freisetzung des Potentzials und den Talentmangel. Viele Unternehmen wissen gar nicht, welche Fähigkeiten ihre Mitarbeiter haben. Wer also die Mitarbeitenden gezielt fördert und schult, löst zwei Probleme gleichzeitig, und das auf eine ethisch gute Art und Weise.

Zum Schluss: Wie können sich Unternehmen den ethischen Dilemmata unserer Zeit annähern?

Hauptmann › Durch die neuen Technologien wird Ethik für Unternehmen insgesamt wichtiger werden. Sie wird sich auf mehr Bereiche erstrecken und bedarf außerdem einer umfassenderen Definition als bisher. Dadurch muss sich auch die Kultur im Unternehmen ändern, denn in solchen Phasen der Transition ist die Diskussion wichtig. Ein Mitarbeiter in einer Entwicklungsabteilung oder auch eine Führungskraft muss ansprechen dürfen, wenn die Befürchtung besteht, dass der Einsatz der Technologie negative Folgen haben könnte. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit, ist aber die Basis für den Einsatz der Technologie. Nötig sind ein Entscheidungsrahmen und klare Entscheidungsprozesse im Sinne eines Corporate Digital Responsibility-Kodex, den es beispielsweise in Unternehmen wie der Otto Group oder Telefónica bereits gibt. Zudem sollte eine sehr sichtbare Position geschaffen werden, die für ethische Fragen verantwortlich ist, auch als Signal für das gesamte Unternehmen. Awareness- und inhaltliche Trainings sind wichtig. Schließlich muss das Top-Management sich mit dem Thema sichtbar beschäftigen und zeigen, dass Diskussionen erwünscht sind und zweifelhafte Entscheidungen auch wieder revidiert werden können.

Porträt von Maren Hauptmann

Maren Hauptmann

Maren Hauptmann leitet das Offering Portfolio Human Capital bei Deloitte Deutschland und ist Teil der globalen Human Capital Executive. Mit mehr als 20 Jahren Beratungserfahrung ist sie spezialisiert auf Organisationsdesign und strategisches Veränderungsmanagement und begleitet Unternehmen weltweit bei großen Organisations- und Unternehmenstransformationen.