Das Cyber-Risiko für deutsche Unternehmen ist hoch. Wie hoch ist die Cyber-Resilienz in Deutschland?
Marius von Spreti › Wie gut deutsche Unternehmen auf die stark veränderten Cyber-Risiken vorbereitet sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dafür ist die Cyber-Resilienz über die verschiedenen Industriezweige und Unternehmensgrößen zu heterogen. Aber eins ist klar: Die tatsächlichen Cyber-Risiken und die vorhandenen Abwehr-, Erkennungs-, Reaktions- und Wiederherstellungsmechanismen müssen dringend überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Denn mehrere Faktoren führen dazu, dass das Risiko für deutsche Unternehmen hoch ist und weiter steigen wird: Durch die fortschreitende Digitalisierung aller Geschäftsbereiche wächst die Angriffsfläche von Unternehmen rasant. Außerdem ist die akute Bedrohungslage durch sogenannte nation-state actors massiv gestiegen, also durch Hackergruppen die mit hoch-innovativen und spezialisierten Methoden im Auftrag von Geheimdiensten und Staaten agieren.
Sie unterstützen Ihre Kunden bei digitalen Sicherheitslösungen. Warum ist das Thema gerade jetzt so relevant?
von Spreti › Die geopolitischen Spannungen und damit auch die Gefahr von Cyber-Angriffen haben in jüngster Zeit stark zugenommen. Doch auch bereits vor dem Krieg in der Ukraine war Cyber Security keine nachgelagerte Fragestellung mehr. Sie muss – nun mehr denn je – integraler Bestandteil der digitalen Wertschöpfung sein. Durch den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien entsteht eine virtuelle Welt, die weite Teile unserer Wirtschaft und Gesellschaft durchdringt: Beruflich und privat wird zunehmend über digitale Kanäle kommuniziert, und neue datengetriebene Geschäftsmodelle bauen auf digitalen Technologien auf, woraus sich ganz neue Risiken ergeben. Sich beim Aufbau komplexer IT-Architekturen, einem digitalen Produkt oder Service erst im Nachhinein um die Sicherheit zu kümmern funktioniert nicht mehr. Cyber Security bildet die grundlegende Basis in der digitalen Welt, die nachhaltige digitale Wertschöpfung erst möglich macht.
Welche Rolle spielt dabei die Corporate Digital Responsibility?
von Spreti › Bei Corporate Digital Responsibility (CDR) geht es um die Verantwortung von Unternehmen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen durch Digitalisierung. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung, die für Unternehmen immer wichtiger wird, um Vertrauen von Kunden in digitale Services und Produkte zu stärken. Der sorgfältige und vertrauensvolle Umgang mit Daten, die Kunden und Geschäftspartner Unternehmen überlassen, ist ein wichtiger Bestandteil von CDR. Unternehmen stellen schon länger ethische und ökologische Ansprüche an sich selbst, vermeiden beispielsweise CO2-Emissionen oder achten auf ethische Standards in ihren Lieferketten.. Nun stellen sie vergleichbare Ansprüche zunehmend auch an ihren Umgang mit Daten.
»Cyber Security ist heute Chefsache, und der Chief Security Officer oder ähnliche Positionen gehören heute zum engen Kreis des Vorstands.«
Was heißt das konkret?
von Spreti › Zum einen geht es um den Schutz der Daten vor unbefugtem Zugriff – also vor Cyberkriminellen, die sie verschlüsseln, um Unternehmen zu erpressen, oder die sie stehlen, um sie selbst zu nutzen oder weiterzuverkaufen. Zum anderen geht es um die Art und Weise, wie die Unternehmen mit den ihnen anvertrauten Daten arbeiten, wie sie die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen innerhalb ihrer Organisation wahren. Dies wird immer wichtiger, da datengetriebene Geschäftsmodelle im Kern oft auf persönliche Daten angewiesen sind, und das darf nicht zu Lasten der Kunden gehen. Der Datenschutz und die digitale Ethik muss in der DNA eines Unternehmens verankert werden, und das ist Teil der Corporate Digital Responsibility.
Die EU hat mit dem „Digital Service Act“ die Verbraucherrechte gestärkt. Was bedeutet das für die digitale Welt?
von Spreti › Für Verbraucher ist die digitale Welt inzwischen fester Bestandteil des Alltags geworden. Daher ist es essenziell, dass auch in der digitalen Welt ein sicheres Umfeld mit zeitgemäßen Regeln geschaffen wird. Die EU reagiert mit dem Verordnungsentwurf zum Digital Services Act auf Risiken und Gefahren wie illegale Inhalte oder Einschränkung der Meinungsfreiheit. Gerade große Online-Plattformen müssen Maßnahmen ergreifen, die Melde- und Abhilfemechanismen erleichtern und gleichzeitig aktiv mit Regeln, Sperrung und Löschung gegen Missbrauch vorgehen. Mitgliedstaaten sollen Behörden als Koordinatoren für digitale Dienste ernennen, die umfangreiche Auskunfts-, Durchsetzungs- und Sanktionsrechte erhalten sollen. Bei der Nachverfolgung setzt die EU auf die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Das schafft Verantwortung und Vertrauen für Markt und Akteure.
Wie trägt Cyber dazu bei, Datenschutz und damit Vertrauen herzustellen?
von Spreti › Am Anfang eines Prozesses, der zu mehr Cyber Security führen soll, steht immer ein möglichst ganzheitlicher Überblick: Welche neuen digitalen Geschäftsmodelle und welche rechtlichen und regulatorischen Anforderungen spielen eine Rolle? In welchen Situationen in der Vergangenheit ist es beispielsweise zu Hacker-Attacken oder Erpressungen gekommen? Danach lassen sich technische und organisatorische Maßnahmen planen und im nächsten Schritt in permanente betriebliche Services und Prozesse umsetzen – beispielsweise, um Angriffsmuster oder nicht autorisierte Datenabflüsse zu erkennen. Wichtig ist auch, die Mitarbeiter durch Trainings stärker für Gefahren zu sensibilisieren. Ziel muss es sein, im Unternehmen – und damit auch in seinen Produkten und Dienstleistungen – ein grundsätzliches Bewusstsein für das Thema Cyber zu verankern.
»Der Datenschutz und die digitale Ethik muss in der DNA eines Unternehmens verankert werden und das ist Teil der Corporate Digital Responsibility.«
Gilt das vor allem für digitale Unternehmen oder auch für alle anderen?
von Spreti › Heute gibt es keine nicht digitalen Unternehmen mehr. Das Thema betrifft digitale Plattformen ebenso wie klassische Industrieunternehmen, die Steuerungskreise, Gebäudeleitsysteme oder Ventile und Pumpen für Wasserwerke herstellen. Auch die für Deutschland so wichtige Automobilindustrie muss sich mit der Frage beschäftigen, wie sie es schafft, von vorneherein Cyber in ihre Produkte einzubauen. Das gilt von der Hardware bis zur Software und über den gesamten Lebenszyklus hinweg.
Haben es Branchen wie die Autoindustrie, die im Kern nicht datengetrieben ist, dabei besonders schwer?
von Spreti › Die Automobilhersteller befinden sich in einer maximalen Transformation. Da sind zum einen die Elektromobilität, die Dekarbonisierung und die Klimaziele. Zum anderen wandelt sich die Industrie auch hinsichtlich Vernetzung und digitaler Wertschöpfung. Man lernt dort gerade von den Newcomern am Markt, nicht viele kleine Computer in ein Auto, sondern das Auto um einen Computer herum zu bauen. Damit gelangen wir in einen Bereich, der das, was wir bisher über Sicherheit gesagt haben, um den Aspekt „Safety“ erweitert, nämlich die Sicherheit für Leib und Leben. Das erweitert das Thema Cyber noch einmal ganz erheblich und wird bereits auf der Ebene der Regulatorik unter dem Motto „Security by Design“ durch die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, die UNECE, international verankert.