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Wirtschaft

»Das hohe Vertrauen der Konsumenten ist eine Stärke des deutschen Handels«

Corona-Pandemie und Lockdown setzen den Handel in Deutschland enorm unter Druck. Ein Gespräch mit Karsten Hollasch, Partner und Leiter Consumer Business bei Deloitte, und Egbert Wege, Partner bei Deloitte und Leiter von Deloitte Digital, über erfolgversprechende Strategien und den Stellenwert digitaler Verantwortung im Online-Handel.

Das Interview führte Benjamin Kleemann von Gersum

Eine Frau schiebt einen Einkaufswagen, in dem ein Haus, Münzen, eine Glühbirne und unterschiedliche Graphen liegen vor sich her.

Die COVID-19-Pandemie schränkt unser Leben in vielen Bereichen ein. Wie wirkt sich das auf das Konsumverhalten in Deutschland aus?

Egbert Wege: Wir haben diese Entwicklung in mehreren Studien sehr genau angeschaut. So ist die Online-Nutzung in Deutschland während des harten Lockdowns im Frühjahr sehr stark gestiegen. Da die meisten Geschäfte geschlossen waren, ist das nicht überraschend. Es hat sich aber auch gezeigt, dass Leute, die schon zuvor online eingekauft hatten, nun überproportional mehr im Internet gekauft haben und das auch in Zukunft weiter tun wollen. Anders sieht es bei den Menschen aus, die zuvor primär stationär eingekauft haben und in erster Linie wegen fehlender Alternativen auf den Online-Handel ausgewichen sind. Sie werden auch wieder stärker zum stationären Einkauf zurückkehren. Dabei verschiebt sich im Lockdown natürlich die Nachfrage: Denn wenn sie nicht ins Restaurant gehen können, kochen sie häufiger selbst oder nutzen Lieferdienste. Andererseits haben sich die Ausgaben für Unterhaltung, Bekleidung oder Wohnungseinrichtung im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten nicht verändert. Obwohl die Menschen mehr Zeit zu Hause verbracht haben, unter anderem weil Angebote wie Reisen und Kulturveranstaltungen stark eingeschränkt waren, konnten wir keine Verschiebung dieser Budgets feststellen. Das hatten wir so nicht erwartet. Die erhöhten Ausgaben für Produkte des täglichen Bedarfs wie beispielsweise Lebensmittel halten sich hingegen konstant. Diese Entwicklung konnten wir nicht nur im Lockdown beobachten.

Karsten Hollasch: Der Trend, dass die Leute beim Konsum über den täglichen Bedarf hinaus eher zurückhaltend sind, hat sich jetzt im Herbst sogar noch einmal verstärkt. Wie unserer Consumer Pulse Survey zeigt, verschiebt über ein Viertel der Deutschen größere Anschaffungen auf einen späteren Zeitpunkt. Das ist sicher die Folge einer gestiegenen Unsicherheit, was die Auswirkungen auf die Wirtschaft und einen möglichen Arbeitsplatzverlust angeht. Wir werden weiterhin das Konsumverhalten beobachten – vor allem jetzt im zweiten Lockdown. Nur so können wir Rückschlüsse ziehen, ob sich Verhaltensmuster etablieren oder ob es sich nur um temporäre Phänomene handelt.

»Der Trend, dass die Leute beim Konsum über den täglichen Bedarf hinaus eher zurückhaltend sind, hat sich jetzt im Herbst sogar noch einmal verstärkt.«

Karsten Hollasch Partner und Leiter Consumer Business bei Deloitte

Welche Unterschiede zwischen der Entwicklung im aktuellen Lockdown und dem Frühjahr sehen Sie darüber hinaus?

Egbert Wege: Einen wesentlichen Unterschied beobachten wir bei Hamsterkäufen. Die gibt es derzeit im Vergleich zum Frühjahr kaum. Anscheinend hat das Vertrauen in den Handel und seine Lieferketten inzwischen deutlich zugenommen. Darüber hinaus sehen wir, dass die Kunden im Lockdown light den stationären Handel bewusst stärker unterstützt haben. Obwohl sie einzelne Waren auch online bestellen hätten können, haben sie sich für einen Kauf vor Ort entschieden oder Click and Collect genutzt. Wir beobachten, dass diese Form des Einkaufens zugenommen hat. Das ist auch ein Indiz dafür, dass das Thema Omnichannel angenommen wurde und die digitalen Kanäle des stationären Handels genutzt werden.

Karsten Hollasch: Ähnlich sieht es bei den Restaurants aus, die über Liefer- und Abholservice zumindest teilweise eine Kompensation ihres normalen Geschäfts erreichen können. Das, was man in der ersten Welle gelernt hat, kann man jetzt sogar noch besser umsetzen. Denn auch die Nachfrage war im Lockdown light wieder sehr hoch. Schon im Frühjahr wurde das Wachstum der Lieferdienste eigentlich nur durch knappe Kapazitäten beim Personal begrenzt. Das wird sich mit dem Ende des Lockdowns aber sicher wieder ändern.

Egbert Wege: Ein weiterer Trend ist, dass regionale Produkte stärker gekauft werden. Hier trifft wahrscheinlich das Streben nach mehr Nachhaltigkeit mit dem Gedanken zusammen, die eigene Wirtschaft zu unterstützen. Diese Regionalisierung wird in unserer Studie Consumer Pulse Survey von November 2020 ebenfalls sehr deutlich.

Wie wirkt sich die aktuelle Konsumzurückhaltung auch auf das Weihnachtsbudget der Deutschen aus?

Karsten Hollasch: Die geplanten Ausgaben pro Person haben sich gegenüber 2019 glatt halbiert – auf gut 340 Euro. Insbesondere die Ausgaben für Reisen sowie das Ausgehen an den Festtagen fallen durch den Lockdown praktisch weg. Interessant dabei ist, dass das theoretisch frei werdende Budget nicht in Geschenke investiert wird, sondern dafür etwas weniger ausgegeben wird als im Vorjahr. Als Grund für den Sparkurs gaben die Befragten unserer Weihnachtsumfrage die pandemiebedingten Einschränkungen und wirtschaftliche Unsicherheit an. Als weitere Faktoren wurden allgemeines Sparen und ein geringeres verfügbares Einkommen genannt. Darunter wird die Gesamtwirtschaft natürlich leiden.

»Viele Konsumenten unterstützen den stationären Handel ja sehr bewusst, deshalb werden wir im nächsten Jahr wieder durch geschäftige Innenstädte schlendern, wenn es Corona erlaubt.«

Egbert Wege Partner bei Deloitte und Leiter von Deloitte Digital

Während die Umsätze im Online-Handel im Corona-Jahr dennoch boomen, bangen die Geschäfte in den Innenstädten um ihre Existenz. Wird ein vorweihnachtlicher Schaufensterbummel im nächsten Jahr noch möglich sein?

Egbert Wege: Viele Konsumenten unterstützen den stationären Handel ja sehr bewusst, deshalb werden wir im nächsten Jahr wieder durch geschäftige Innenstädte schlendern, wenn es Corona erlaubt. Aber zugleich wirkt die Pandemie wie ein Brennglas. So haben viele Geschäfte, die nicht über einen Omnichannel-Ansatz verfügen, aktuell ein großes Problem. Deshalb wird es sicher auch einige Läden in einem Jahr nicht mehr geben. Andere werden aber sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen, weil sie sich schnell umgestellt haben. Ein schönes Beispiel hierfür ist das KaDeWe. Das Kaufhaus hatte zuvor keinen E-Commerce-Kanal, weil die Luxusartikelhersteller das eigentlich nicht wollen. In der Pandemie hat das KaDeWe jedoch in wenigen Wochen einen Online-Verkaufskanal hochgezogen. Auch Douglas ist es gelungen, über sein Loyalitätsprogramm – und damit den direkten Kundenkontakt – einen Großteil des Umsatzes der geschlossenen Geschäfte ins Internet zu verlagern.

Gelingt so ein rascher Umbau der Vertriebswege nur Konzernen oder großen Ketten?

Egbert Wege: Keineswegs, auch die kleinen, regionalen Händler machen sich Gedanken, wie sie am Thema Omnichannel partizipieren können. Da gibt es Beispiele wie das eines klassischen familiengeführten Ladens für Lampen und Leuchten mit nur einem Standort. Dieser hat jedoch während der Pandemie einen bestehenden E-Commerce-Kanal, der bis dahin eher eine Spielwiese war, so stark ausgebaut, dass der Laden seine Produkte heute bundesweit verkauft. Solche Beispiele gibt es viele. Entscheidend ist auch nicht immer ein E-Commerce-Kanal. Es geht genauso um neue Wege, mit meinen Kunden direkt in Kontakt zu treten, wenn diese nicht mehr in den Laden kommen können, etwa über einen Newsletter. Zudem sollten sich kleine Händler überlegen, auf welchen überregionalen digitalen Marktplätzen sie ihre Ware anbieten wollen.

Mit Hilfe individueller Daten und teils auch schon mit KI versuchen Online-Händler, ihren Kunden das passende Produkt zum richtigen Zeitpunkt anzubieten. Nehmen die Kunden bewusst in Kauf, für das ein oder andere Schnäppchen mit ihren Daten zu bezahlen?

Egbert Wege: Generell zeigen Studien, dass wir als Konsumenten in Deutschland vergleichsweise hohe Anforderungen an den Datenschutz stellen. Wenn man hingegen die Sorge um den Datenschutz weltweit vergleicht, sind 43 Prozent der Deutschen besorgt um ihren Datenschutz, während es in China 61 Prozent sind. Ein wichtiger Aspekt dabei ist sicher, dass wir mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung bereits sehr gut aufgestellt sind. Dass das Vertrauen der Konsumenten weiter zunimmt, hat auch eine unserer Studien gezeigt. So haben 46 Prozent der Befragten seit Beginn der Pandemie mehr Daten mit ihrem Händler geteilt, um personifizierte Produktempfehlungen zu erhalten, als zuvor.

Karsten Hollasch: Die größte Sorge des Konsumenten ist ja nicht, dass er irgendwann Werbung bekommt, weil er in einem Online-Shop mal etwas gekauft hat, sondern dass seine Daten an Dritte weiterverkauft werden. Und diese Befürchtung ist gegenüber dem deutschen Handel sehr gering.

»Es geht um neue Wege, mit meinen Kunden direkt in Kontakt zu treten, wenn diese nicht mehr in den Laden kommen können.«

Egbert Wege Partner bei Deloitte und Leiter von Deloitte Digital

Welche Rolle spielt das Thema digitale Verantwortung im deutschen Handel bereits?

Egbert Wege: Auf der einen Seite haben wir mit der DSGVO einen guten gesetzlichen Rahmen, aber auf der anderen Seite hat der deutsche Handel auch viel dafür getan, das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen. Er arbeitet gezielt daran, sich stärker als Trusted Partner zu positionieren. Daher verwundert es nicht, dass etwa ein deutsches Traditionsunternehmen beim Thema Vertrauen in Bezug auf Daten viel höher geranked wird als ein globaler Tech-Gigant. Dieses Vertrauen in den verantwortungsvollen Umgang mit Kundendaten ist eine deutliche Stärke des deutschen Handels.

Das Thema Datenschutz gewinnt jedoch nicht nur im Online-Handel an Bedeutung. Amazon arbeitet bereits daran, die Kasse im Supermarkt und damit auch die Schlange davor überflüssig zu machen. Damit die Kunden dennoch bezahlen, was sie eingekauft haben, sind Just-Walk-Out-Supermärkte in den Vereinigten Staaten jedoch mit zahllosen Kameras und Sensoren in den Regalen ausgestattet. Ist die Lösung – gerade in Pandemie-Zeiten – auch für Deutschland attraktiv?

Karsten Hollasch: Es gibt auch einige Händler in Deutschland, die diese Konzepte prüfen. Aber aufgrund der Rechtslage in Deutschland können einzelne Konzepte nicht ganz so einfach umgesetzt werden wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder China. So dürfen beispielsweise hierzulande Mitarbeiter auf Bildern nicht erkannt werden. Es gibt also viele Hürden dabei. Dennoch hat Tegut ein ähnliches Konzept für Deutschland bereits entwickelt, das auch auf dem Handelskongress prämiert worden ist. Ich glaube, das wird auch bei uns kommen.

Porträtfoto von Karsten Hollasch

Karsten Hollasch

Karsten Hollasch ist als Partner in dem Bereich Transaction Services bei Deloitte tätig. Er verfügt über Erfahrung bei nationalen und internationalen Due Diligence Projekten und ist für Corporate sowie Private Equity Mandate verantwortlich. Zusätzlich ist er Leiter des Industriesegments Consumer Business bei Deloitte Deutschland.

Profil bei Deloitte

Porträtfoto von Egbert Wege

Egbert Wege

Egbert Wege leitet als verantwortlicher Partner bei Deloitte das Offering Portfolio Customer & Marketing und den Bereich Retail. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf den Themen der digitalen Transformation, Plattformökonomie, Business Building, Innovation, Multichannel Retailing, Marketing-Effizienz, Kundenbindung und Branding. Seine Handelserfahrungen an der Konsumentenschnittstelle bringt er auch in die Branchen Finanzdienstleistungen, Travel und Pharma ein. Egbert Wege ist seit 1999 in der Beratung tätig. Zwischen 2005 und 2011 arbeitete er sechs Jahre lang für ein führendes internationales Versandhaus u. a. als Geschäftsführer.

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