Herr Schleweis, als Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes steht das Thema Digitalisierung für Sie beruflich ganz oben auf der Agenda. Sind Sie auch privat ein digitalaffiner Mensch?
Helmut Schleweis › Ja, aber ich würde mich dennoch als konstruktiv-kritisch bezeichnen. Die Digitalisierung hat enorme Vorteile für das tägliche Leben. Warum sollte man persönlich in eine Bankfiliale gehen, nur um Kontoauszüge auszudrucken, wenn die Informationen über eine App viel leichter und schneller zu bekommen sind? Auf der anderen Seite gibt es immer noch Bereiche, in denen ich auf den persönlichen Kontakt zu einem menschlichen Berater nicht verzichten möchte. Das gilt zum Beispiel bei Finanzierungen oder Vermögensanlagen. Aber natürlich hat die Digitalisierung mein Verhalten als Konsument grundlegend verändert.
Reagiert Ihre Branche denn angemessen auf diese Veränderung?
Schleweis › Ich muss bei dieser Frage an Angela Merkels Satz von 2013 denken, als sie sagte, das Internet sei für uns alle Neuland. Dafür musste sie damals viel Häme einstecken. Meiner Meinung nach hatte sie aber recht – und der Satz stimmt auch heute noch. Niemand von uns ist in der Lage, bereits alle Konsequenzen der Digitalisierung abzusehen. Unser Wissen über disruptive Technologien ist begrenzt, das liegt in der Natur der Sache. Denken Sie an das iPhone. Plötzlich tauchte da vor fast zwölf Jahren ein Gerät auf, das in der Folge völlig neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle ermöglichte. Man muss lernen, sich auf solche schnellen und ganz grundlegenden Veränderungen einzustellen. Unter diesen Voraussetzungen machen wir – so denke ich – einen ganz ordentlichen Job.
Inwiefern?
Schleweis › Digitale Angebote haben bei uns inzwischen den gleichen Stellenwert wie physische. Ein Beispiel: Im letzten Jahr haben wir Instant Payment eingeführt. Dadurch wird es möglich, Geld in Echtzeit zu transferieren. Instant Payment ist damit das Bargeld des Internet-Zeitalters. Damit erschließen sich sehr viele neue Anwendungsmöglichkeiten. Und wir können sicherstellen, dass möglichst wenig Dienstleister mit den Daten unserer Kunden arbeiten können. Solche Innovationen führen wir ein, weil wir als Dienstleistungsgewerbe den Bedürfnissen unserer Kunden verpflichtet sind. Gleichzeitig sollte man immer aufpassen, das Neue, Revolutionäre einer Technologie nicht überzuinterpretieren.
Wie meinen Sie das?
Schleweis › Vor 25 Jahren hat Bill Gates behauptet, dass Menschen Banking bräuchten, aber keine Banken. Ich glaube nicht, dass er recht hatte. Zum einen hat er die Bedeutung des menschlichen Vertrauens im Bankgeschäft unterschätzt. Zum anderen darf man nicht übersehen, dass nach aktuellen Zahlen rund ein Viertel der Deutschen gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang an der Digitalisierung teilnimmt. Weitere 40 Prozent bezeichnen sich als Gelegenheitsnutzer. Als Sparkassen sind wir deshalb gut beraten, nicht alles technisch Mögliche anzubieten, sondern nur das, was die Kunden wirklich wollen und auch nutzen.
Das heißt aber nicht, dass man deswegen weniger innovativ sein sollte, oder?
Schleweis › Natürlich nicht. Was ich sagen will: Man muss als echter Dienstleister akzeptieren, dass viele Menschen in Deutschland vergleichsweise zurückhaltend gegenüber der Digitalisierung sind, gerade im Bankgeschäft. Ganz deutlich ist dies beim Thema Mobile Payment.
»Fast die Hälfte der Zahlungen in Deutschland findet nach wie vor bar statt, teilweise vollkommen konträr zu anderen Ländern.«
Schleweis › Das mag auf den ersten Blick ängstlich und fortschrittsfeindlich wirken. Viele Kunden haben dafür aber gute Gründe. Sie wollen zum Beispiel nicht mit ihren täglichen Zahlungen getrackt werden können. Bargeld ist für viele auch Freiheit. Wir schreiben unseren Kunden nicht vor, wie und wann sie sich wohl zu fühlen haben. Wir bieten das an, was in ihrer Anzahl relevante Kundengruppen verlangen.
Sie selbst haben sich mit der Einführung digitaler Produkte auch viel Zeit gelassen und wurden dafür kritisiert.
Schleweis › Ja, wir wurden kritisiert. Agilität wird zuweilen auch als ein Wert an sich gesehen. Es stimmt aber, dass die deutsche Kreditwirtschaft etwa im Payment-Bereich noch untätig war, als der Trend zu digitalen Dienstleistungen schon deutlich absehbar war. Ein großer amerikanischer Dienstleister hat sich deshalb in Deutschland relativ große Marktanteile im Online-Zahlungsbereich sichern können. Heute ist der Vorwurf der mangelnden Geschwindigkeit nicht mehr berechtigt. Wenn wir heute eine Innovation nicht als Erste auf den Markt bringen, dann deshalb, weil sie bei uns fehlerfrei funktionieren muss.
Aber viele Fintechs entwickeln doch auch gute Produkte und sind in der Entwicklung trotzdem recht flott.
Schleweis › Es gibt viele tolle Fintechs. Sie probieren Neues aus und lassen es sein, wenn es nicht klappt. Von Kooperationen mit Fintechs profitieren wir auch. Man muss aber auch verstehen: An Sparkassen werden andere Erwartungen gerichtet als an Fintechs. Wir können nicht ausprobieren und lapidar „sorry“ sagen, wenn es nicht klappt.
»Wenn wir als Marktführer einen Service anbieten, ist er von einem Moment auf den anderen potentiell für 40 bis 50 Millionen Menschen nutzbar. Und dann muss es verlässlich klappen, sicher sein und die Daten unserer Kunden schützen.«
Schleweis › Das zu gewährleisten braucht einfach seine Zeit. Dafür wissen unsere Kunden aber auch: Wenn es von der Sparkasse kommt, kann man darauf vertrauen, dann ist man nicht Versuchskaninchen.
Hat es sich denn gelohnt?
Schleweis › Auf jeden Fall. Wir haben die meistverbreitete und durch Finanztest am besten bewertete FinanzApp. Unser Bezahlsystem Kwitt, das wir zusammen mit den Genossenschaftsbanken realisieren, liegt bei aktuell 1,4 Millionen Nutzern und wächst jede Woche um weitere 10.000. Bei Instant Payment sind wir europaweit der größte Anbieter. Und niemand ist in Deutschland bei mobilen Bezahlmöglichkeiten erfolgreicher als die Sparkassen.