Herr Boos, Sie waren erst acht Jahre alt, als Sie Ihr erstes Computerprogramm geschrieben haben. Das ist ganz schön beeindruckend.
Chris Boos › Ich wollte unbedingt Computer spielen, aber zu der Zeit gab es nichts außer ein paar langweilige Spieleklassiker. Also musste ich mir mein Computerspiel selber programmieren. Dass wir damals überhaupt einen Computer zu Hause hatten, war total ungewöhnlich. Aber mein Onkel, mit dem ich später gemeinsam das Unternehmen Arago gegründet habe, ist ein Technik-Nerd und hat mich unter seine Fittiche genommen. Und dadurch, dass ich Albino bin und mich optisch von allen anderen Kindern unterschied, hatte ich bis zur Pubertät sehr viel Zeit für Computer & Co. Erst in der Pubertät wird Anderssein cool – bis dahin ist man entweder als Person zerbrochen oder hat gelernt, sich selbst zu akzeptieren.
Wann ging es bei Ihnen dann zum ersten Mal konkret um Künstliche Intelligenz (KI)?
Boos › Das war kurz vor der Gründung von Arago, also Mitte der 90er Jahre. Hier wollte ich zum ersten Mal mit Hilfe von KI einige grundlegende Probleme lösen.
Heute ist KI in aller Munde. Nervt Sie das?
Boos › Allerdings. Diese ganzen Diskussionen um die angeblich denkenden Maschinen finde ich unglaublich anstrengend.
»Die Idee, dass es eine selbstständige KI mit einem eigenen „Ich“ gibt, ist einfach nur Quatsch. Die Frage, was das „Ich“ ausmacht, ist so komplex und vielschichtig, dass selbst Philosophen oder Psychologen darauf keine allumfassende Antwort haben.«
Also bleiben KIs nur dumme Blechkisten.
Boos › Ja, aber eben solche, die komplizierte Probleme lösen können. Eine KI hat nicht mal einen eigenen Willen oder eigene Ziele – wie soll sie dann eine eigene Ethik haben? Wenn ich mich moralisch verhalte, muss ich doch überhaupt erst begreifen, was Moral ist. Dieses Verständnis haben Maschinen einfach nicht – und das wird auf Zeit auch so bleiben. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde es schön, dass wir in Deutschland eine Diskussion über Moral und Ethik führen, aber die Verantwortung dafür an ein paar Entwickler abdrücken zu wollen ist inakzeptabel. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.
Wie wird KI unseren Alltag in Zukunft beeinflussen?
Boos › KI stellt unser Wirtschaftssystem komplett auf den Kopf. Seit wir in der großen Mehrheit aufgehört haben, Bauern zu sein, arbeiten wir nach dem industriellen Prinzip: Es geht also um Arbeitsteilung und Skaleneffekte. Wenn wir in der heutigen Welt etwas haben wollen, überlegen wir uns, was das ist, und beschreiben den Weg dorthin. Man schildert also die Lösung, die am häufigsten vorkommt, nimmt dann viel Geld in die Hand und baut zum Beispiel eine Fabrik nach genau diesem Vorbild auf. Und die restliche Zeit verwendet man darauf, die Realität so zu verbiegen, dass es in den vorgefertigten Lösungsweg passt. Einer KI hingegen erklärt man, was man haben möchte – die Lösung dazu findet die KI dann selbst. Das wird für eine riesige Automatisierungswelle sorgen.
Das klingt für den Arbeitnehmer ziemlich dramatisch.
Boos › Das ist es auch. Ich gehe davon aus, dass 80 Prozent aller Jobs wegfallen werden. Aber im Umkehrschluss bedeutet das: Wir können endlich wieder etwas Sinnvolles machen!
Es ist doch eine tolle Sache, wenn wir die stupiden Tätigkeiten an die Maschinen zurückgeben und Dinge tun können, die uns mehr erfüllen.
Boos › Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, wie eine Maschine zu arbeiten. Und außerdem entstehen doch auch neue Jobs. Es gibt so viele ungelöste Probleme – beim Klimaschutz zum Beispiel oder in der Medizin. Bei menschlicher Kreativität wird es nie so weit kommen, dass wir nichts mehr zu tun haben.