Frau Wolff, warum soll nach Telefonen und Fernsehgeräten nun die Energieversorgung der Haushalte „smart“ werden?
Dr. Marie-Luise Wolff › Smarte Haushalte brauchen wir, um die Energieeffizienz zu steigern, denn nur so können wir die Energiewende verwirklichen und die Klimaschutzziele erreichen. Einer der wichtigsten Schritte dabei ist die Vernetzung der Energiesysteme, die heute viel dezentraler, kleinteiliger und volatiler sind, als das bisher der Fall war. Früher haben uns einige hundert Großkraftwerke mit Energie versorgt. Heute erzeugen über 1,6 Millionen Anlagen in Deutschland unseren Strom. Hinzu kommt, dass wir auch auf Verbraucherseite Veränderungen sehen, beispielsweise durch Elektroautos oder Wärmepumpen. Zusammengenommen heißt das: Wir werden in Zukunft mehr Strom brauchen und seine Erzeugung über Millionen von Anlagen vernetzen und steuern müssen.
Dr. Thomas Schlaak › Wichtig bei den smarten Haushalten ist auch der Komfort, den das System mit sich bringt, und die nötige Akzeptanz durch die Verbraucher. Gerade die Haushalte werden solche Systeme nur annehmen, wenn einige Bedingungen erfüllt werden. Sie müssen absolut zuverlässig sein, es darf also keine Übertragungsprobleme geben. Die Kosten müssen dadurch spürbar optimiert werden. Und es müssen neue Produkte angeboten werden, die erst durch die Vernetzung möglich werden. Die digitale Steuerung von Energiesystemen kann den Endkunden selbst zugutekommen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit Sprachsteuerungen wie Alexa oder dem Google Assistant.
Wie muss das Energiesystem der Zukunft aussehen?
Wolff › Zunächst einmal ist eine Kopplung der Sektoren Elektrizität, Wärmeversorgung und Verkehr erforderlich. Auch in den Bereichen Wärme und Verkehr wird der Strom eine zunehmende Rolle spielen. Das ist auch richtig so, da Strom die Energie mit dem höchsten Wirkungsgrad ist. Die zukünftige Erzeugung des Stroms durch erneuerbare Energien wie Wind und Sonne bringt durch die Volatilität dieser Energiequellen eine gewisse Komplexität mit sich. Die Anforderungen an die Steuerung und Flexibilität der Systeme steigen – und genau dafür brauchen wir ein digitales, intelligentes System.
»Flexibilisierung ist das essentielle ›Talent‹, um die Last im Netz auszubalancieren und zu vermeiden, dass beispielsweise das massenhafte Laden von Elektroautos zu Engpässen in der Stromversorgung führt.«
Dr. Marie-Luise Wolff
Gerade die Digitalisierung, die alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche erfasst hat, ermöglicht das. Um sicherzustellen, dass jedes Kilowatt Energie zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, müssen wir unsere Kunden genau kennen, um nicht nur reagieren, sondern auch vorausplanen zu können. Das schaffen wir nur mit intelligenten digitalen Netzen und Geräten.
Sind die entscheidenden Weichen dafür bereits gestellt?
Schlaak › Die Energiewende als Ziel ist zwar längst klar, präzise Vorstellungen darüber, wie die Energiesysteme im Jahr 2040 oder 2050 aussehen werden, fehlen aber. Schon bei den Klimaschutzzielen, die wir erreichen wollen, existieren auf der politischen Ebene ganz unterschiedliche Vorstellungen. Sollen 80 oder 95 Prozent der CO2-Emissionen vermieden werden? Die Antwort auf diese Frage hat enorme Auswirkungen auf die Technologie, die das ermöglichen soll. Diese Diskussion muss zügig geführt und zu Ende gebracht werden, damit die Investitionsanreize für Forschung, Entwicklung und Erzeugung klar sind und sich auch die Regulierung darauf einstellen kann. Im Moment herrscht hier noch auf allen Ebenen Unklarheit. Diese zu beseitigen ist eine der dringendsten Aufgaben der Bundesregierung.
Wolff › Die Wahl zwischen dem 80- und dem 95-Prozent-Ziel hat massive Auswirkungen auf die nötigen Investitionen. Es ist beispielsweise ein gewaltiger Unterschied, ob die Versorger noch 20 Prozent der Energie mit Gaskraftwerken produzieren dürfen oder nur fünf. Studien zeigen, dass für die Umsetzung des 80-Prozent-Ziels jährlich steigende Investitionen nötig wären, die im Jahr 2050 eine Höhe von 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen. Beim 95-Prozent-Ziel wären es bereits 2,8 Prozent – also mehr als doppelt so viel. Um das einmal konkret zu beziffern: Für die dreißig Jahre zwischen 2020 und 2050 läge der Investitionsbedarf beim 80-Prozent-Szenario bei rund 650 Milliarden Euro und beim 95-Prozent-Szenario bei rund 1,9 Billionen Euro.
Das ist eine gewaltige Aufgabe.
Wolff › Absolut, und es passiert viel zu wenig. Das kürzlich beschlossene Klimaschutzpaket der Großen Koalition greift zu kurz. Der Steuerungsansatz über die CO2-Bepreisung ist so vorsichtig, dass sich dadurch keine Lenkung ergeben wird. Weder werden die Kosten für Benzin und Öl entsprechend erhöht noch werden Anreize für den Strom als Alternative geschaffen, da der Strompreis nicht merkbar gesenkt wird. Im Gegenteil: Durch die Erhöhung der EEG-Umlage wird der Strompreis steigen. Der Wende hin zur Elektromobilität hilft das wirklich nicht. Eine weitere Hürde auf dem Weg zu einem smarten Energiesystem ist die Verzögerung bei der Einführung der intelligenten Stromzähler. Der Smart Meter könnte den Versorgern präzise zeigen, wie viel Energie jeder einzelne Haushalt wirklich verbraucht. Doch für die Markteinführung werden drei vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, abgenommene Zähler benötigt, und nach drei langen Jahren ist der dritte erst im Dezember vergangenen Jahres zertifiziert worden. Das war nicht nur unternehmerisch eine Herausforderung, sondern auch verlorene Zeit.
Ändern sich mit den digitalen Energiesystemen auch Rolle und Geschäftsmodell der Energieversorger?
Wolff › Auf jeden Fall. Die Versorger sitzen in den urbanen Zentren und in den Speckgürteln. Sie sind seit über 100 Jahren Profis für ganz verschiedene Netze und bauen nicht nur Strom- oder Gasleitungen, sondern verlegen mittlerweile auch Glasfaserkabel. Daraus ergeben sich Synergien für die Planung und Ausführung der nötigen Arbeiten, aber auch die Chance auf Bündelangebote aus Strom, Internet und Telefonie, wie sie die Entega seit einiger Zeit anbietet. Die Daten, die wir in Zukunft durch intelligente Netze und Stromzähler erheben werden, sind ein weiterer, spannender Aspekt dieser Entwicklung.
Schlaak › Gerade hier haben die Versorger große Potentiale. Allerdings haben die meisten Versorger hier noch einen weiten Weg vor sich, denn dieses Geschäft unterscheidet sich maßgeblich von ihrem bisherigen. Wenn es ihnen gelingt, sich hier zu positionieren, werden sie sich ganz neue Geschäftsfelder erschließen können.
»Durch ihre traditionell starke Stellung in den Kommunen können sie sich in Verbindung mit dieser neuen Infrastruktur eine Position als zentraler Datendienstleister erarbeiten.«
Dr. Thomas Schlaak