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Politik

»Die Regulierung darf auf keinen Fall zu starr sein«

Christoph Meinel, Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts, über die dramatischen Veränderungen, die die Digitalisierung für unser ganzes Leben mit sich bringen wird, und Corporate Digital Responsibility.

Das Interview führte Dirk Mewis

Foto von Prof. Dr. Christoph Meinel mit einem Unscharfen Hintergrund

Anfang des Jahres stellte die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) der Vereinten Nationen in Genf ihren Expertenbericht vor. Entscheidend sei, so die die IAO, „ein internationales System zur Regelung digitaler Arbeitsplattformen zu entwickeln, dass die digitale Plattformökonomie und ihre Auftragnehmer zur Einhaltung bestimmter Mindestrechte und Schutzvorkehrungen verpflichtet“. Teilen Sie diese Einschätzung?

Prof. Dr. Christoph Meinel › Hier stehen wir erst ganz am Anfang. Wir müssen im Umgang mit der digitalen Welt Erfahrungen sammeln und nicht gleich endgültige Beschlüsse fassen. Es ist richtig, dass Regulierung stattfinden muss. Aber die Regulierung – national oder international – darf auf keinen Fall zu starr sein, sonst blockieren wir uns und können dann im schlimmsten Fall gar nicht von den Vorteilen und Chancen der Digitalisierung profitieren. Regulierungen und insbesondere internationale Abkommen zu vereinbaren ist sehr zeitaufwendig und schwierig. Die Digitalisierung schreitet aber schnell voran und ermöglicht es uns, über virtuelle Verbindungen Wirkungen am anderen Ende der Welt zu erzielen. Das schafft ganz neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen.

»Einfach alte Regeln aus der analogen Welt eins zu eins in die neue digitale Welt zu übersetzen zieht die neuen Möglichkeiten nicht in Betracht. Hierzulande gibt es leider den starken Wunsch, von vornherein alles perfekt zu regeln.«

Meinel › Damit wird gleich von Beginn an der Freiraum für Innovationen, neue Services und Produkte abgewürgt, denn viele Entwicklungen brauchen Zeit und ein tieferes Verständnis für die neuen Möglichkeiten der digitalen Technologien. Andere Länder machen es umgekehrt: Sie schauen erst, was möglich ist. Und entscheiden dann über neue Regeln.

Wie könnten neue Regeln für neue Beschäftigungsformen wie Crowdworking, also die Verlagerung von Arbeit auf Menschen in der ganzen Welt, aussehen?

Meinel › Bisher wurden internationale Fragen durch internationale Absprachen geregelt. Das aber braucht noch viel mehr Zeit als nationale Gesetzgebung. Also brauchen wir auch hier neue Denkansätze. Neue Beschäftigungsformen wie Crowdworking bieten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vor- und Nachteile. Auf dem Weg zu fairen rechtlichen Rahmenbedingungen für beide Seiten sind jedoch noch viele Fragen zu klären: Was ist im digitalen Raum erlaubt? Was ist verboten? Wem gehören welche Daten? Wo werden im digitalen Raum erwirtschaftete Gewinne versteuert? Auf diese drängenden Fragen gibt es noch keine befriedigenden Antworten.

Foto von dem Hauptgebäude des Hasso-Plattner-Instituts, In der Unteren Bildhälfte ist ein Teich zu sehen mit blauem Himmel
Foto: HPI / Kay Herschelmann
Hauptgebäude des Hasso-Plattner-Instituts
Zu sehen ist ein Raum der HPI School of Design Thinking mit mehreren Studenten und White-Boards, wo die Studierenden dran Arbeiten.
Foto: HPI / Kay Herschelmann
HPI School of Design Thinking, Students & Space

Im Augenblick entstehen zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen Start-ups, die sehr schnell sehr reich werden; zum anderen wächst der Niedriglohnsektor. Gehört das eine zum anderen dazu?

Meinel › Es war noch nie so leicht für Start-ups, ein neues Produkt zu entwickeln oder einen neuen Service anzubieten und großflächig auf den Markt zu bringen. Früher brauchte man dazu eine Fabrikhalle, Maschinen, Kapital. Heute kann da jeder mit seinem Laptop überall auf der Welt starten. Früher brauchte man ein Stahlwerk, um ein neues Auto zu entwickeln. Heute reicht für viele Produkte ein 3D-Drucker. Allerdings stehen die Start-ups in Konkurrenz zum Rest der ganzen Welt.

Viele der erfolgreichen Modelle beruhen darauf, dass Menschen, die von ihrer Arbeit eigentlich nicht leben können, bei Uber Taxi fahren oder für Deliveroo und andere Essen transportieren.

Meinel › Das ist tatsächlich alles noch nicht ausgereift. Die Modelle sind noch jung, wir sehen erst langsam ihre Auswirkungen in vollem Umfang. Auch wie die Länder darauf reagieren, welche Anforderungen an Versicherungsschutz sie stellen, wie die Märkte sich entwickeln, welchen Schutz es für Arbeitnehmer gibt. Wir erleben die ersten Ideen, die wirklich disruptiv sind. Airbnb ist dafür ein gutes Beispiel – das weltweit größte Hotel ohne ein einziges eigenes Hotelzimmer.

»Wie aber mit den Veränderungen solch disruptiver Ansätze und Modelle in der Arbeitswelt umgegangen werden soll, muss in der Gesellschaft breit erprobt und diskutiert werden, das ist eine der großen Herausforderung vor die uns die Digitalisierung stellt.«

Wie hoch ist Deutschlands digitaler Reifegrad im internationalen Vergleich?

Meinel › Die Vereinigten Staaten und China sind in der wirtschaftlichen Erschließung und Besetzung der neuen digitalen Welt deutlich weiter. Die Gesellschaft dort steht den Veränderungen mit großer Neugier gegenüber. In Europa zum Beispiel ist Spanien im Bereich der papierlosen Verwaltung sehr erfolgreich. Deutschland ist beim E-Government dagegen fast Schlusslicht. Digitalisierung wird als eine zusätzliche Last empfunden und nicht als Chance, die Welt und unser Leben ein Stück besser zu machen. In der Start-up-Hauptstadt Berlin etwa müsste man doch ein Unternehmen auch per Internet anmelden können. Nichts da, zurzeit braucht man zwei bis drei Monate auf dem guten alten Verwaltungsweg. In Osteuropa oder den USA geht das per Internet in Minuten. Lediglich in der Industrie ist Deutschland mit seinen Anstrengungen und Aktivitäten im Bereich Industrie 4.0 gut aufgestellt.

Warum ist das so?

Meinel › Veränderungen erzeugen Unsicherheit und machen Angst, sie könnten unserem Wohlstand schaden. Andere Länder, wie zum Beispiel China, die nicht über unseren Wohlstand verfügen, sehen die Digitalisierung als ihre große Chance, um aufzuschließen und uns vielleicht sogar zu überholen. Auch der angelsächsische Raum mit einem mehr freiheitlichen Gesellschaftsmodell ist traditionell offener für Innovationen.

»Sie probieren dort neue Geschäftsideen einfach aus. Und das mit der unglaublich wichtigen Einstellung, dass man mit einer Idee auch mal scheitern kann.«

Anfang des vergangenen Jahres hatte Bitkom prognostiziert, dass in den kommenden Jahren 3,4 Millionen Jobs durch die Digitalisierung in Deutschland gefährdet sind – etwa jeder zehnte Arbeitsplatz. Gleichzeitig entstünden aber auch viele neue Arbeitsplätze, die nicht qualifiziert besetzt werden könnten. Was muss passieren, um in Zukunft offene Stellen qualifiziert besetzen zu können?

Meinel › Wir müssen früher ansetzen. Die meisten Schulen erfüllen die technischen Voraussetzungen für digitales Lernen nicht. Geräte, die jederzeit von jedem Schüler genutzt werden können, und schnelles Internet, auf das die Schüler über W-Lan zugreifen können, gibt es an vielen Schulen immer noch nicht. Zudem sind viele Lehrer überfordert mit dem Überangebot an digitalen Inhalten und deren datenschutzkonformer Nutzung. Forscher des Hasso-Plattner-Instituts bauen deshalb eine Schul-Cloud, die Schülern, Lehrern und Eltern einen einfachen und sicheren Zugang zu Lehr- und Lernmaterialien ermöglichen soll und von überallher und jederzeit mit einem mobilen Endgerät genutzt werden kann. Die Schulen können so über eine professionelle Cloud-Infrastruktur im Unterricht auf digitale Lerninhalte jeder Art zugreifen, wann immer das sinnvoll ist, und brauchen sich keine Sorgen um Fragen des Datenschutzes machen oder sich um die Administration und Wartung kümmern.

Auch im Koalitionsvertrag spielt digitale Bildung eine große Rolle. Geht es nun endlich voran?

Meinel › Das Bundesforschungsministerium hat mit dem Digitalpakt einen Stein ins Wasser geworfen. Auch die Länder sprechen nun darüber, ich hoffe nur, dass es am Ende nicht 16 verschiedene Schul-Clouds geben wird. Denn die HPI Schul-Cloud zeigt: Es braucht wie bei der Elektrik nur eine digitale Lernumgebung für die Speicherung von Daten, den Austausch von Dokumenten, das Einsammeln von Hausaufgaben, die Teamarbeit usw., über die dann die verschiedenen Lernprogramme datenschutzkonform nutzbar sind. Welches Lernprogramm dann genutzt wird, kann gerne föderal ausgewählt werden.

Porträt von Prof. Dr. Christoph Meinel

Prof. Dr. Christoph Meinel

Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts

Die Forschungen am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christoph Meinel sind fokussiert auf die Untersuchung von wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, Methoden und Techniken zur Entwicklung neuer Internet-Technologien und innovativer Internet-basierter Anwendungen und IT-Systeme. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach einem effizienten und sicheren Umgang mit Big Data und der Erschließung von Potentialen des Cloud Computing und der In-Memory Technologie.

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