Seit Januar wird die elektronische Patientenakte schrittweise eingeführt. Herr Leyck Dieken, wie fällt Ihr erstes Resümee aus?
Dr. Markus Leyck Dieken › Wir befinden uns zum Zeitpunkt dieses Gesprächs noch in einer sehr frühen Phase mit sogenannten erweiterten Feldtests. Erst im zweiten Quartal 2021 werden wir in die Einführungsphase mit Ärzten im ganzen Bundesgebiet kommen. Coronabedingt stellen wir noch ein paar Einschränkungen fest, die Downloadzahlen der Apps sind jedoch gut und liegen derzeit im sechsstelligen Bereich. Es ist aber auch so, dass die Patienten den vollen Service der ePA erst dann erleben werden, wenn auch Ärzte und Behandler mit der entsprechenden Software ausgestattet sind. Wir gehen davon aus, dass die marktführenden Softwarehäuser zum offiziellen Start der ePA am 1. Juli die Behandler ausgestattet haben werden.
»Die Nutzer entscheiden selbst, welche Daten sie teilen und was mit diesen Daten passiert«
Dr. Markus Leyck Dieken
Ein entscheidender Aspekt ist der Datenschutz. Wie wird sichergestellt, dass die Daten nicht missbraucht werden können?
Dieken › Die Nutzer entscheiden selbst, welche Daten sie teilen und was mit diesen Daten passiert. Mit ihrer App können die Nutzer steuern, wann und wem sie Zugriff auf bestimmte Informationen geben möchten – und wie lange. Dazu gibt es in den ePA-Apps drei Körbe: einen für die Dokumente der Krankenkasse, einen für die der Ärzte und einen für den Patienten. Wenn dieser ein Dokument nicht zeigen möchte, weil er es in dem Kontext nicht als adäquat empfindet, kann er es in den Patientenkorb verschieben und diesen nicht freigeben. Damit liegt die Entscheidung, welche Informationen geteilt werden und welche nicht, beim Patienten.
Die elektronische Patientenakte ist nur ein Baustein der Digitalisierung in der Gesundheitsbranche, im Sommer kommt zudem das E-Rezept. Welche weiteren Schritte halten Sie für notwendig, Herr Elbel?
Elbel › Die elektronische Patientenakte ist ein guter erster Aufschlag. Aber ich denke, dass in den kommenden Jahren ein weiteres Thema von Bedeutung werden wird, gerade für chronisch Kranke: digitale Gesundheitsapplikationen, kurz DiGAs. Seit Ende 2020 können Ärzte diese Gesundheits-Apps neben der Behandlung verschreiben und damit Patienten bei der Erkennung, Überwachung und Behandlung von Krankheiten unterstützen. Erste Anwendungsbeispiele sind Migräne, Depressionen oder Fettleibigkeit. Wenn man die elektronische Patientenakte und diese DiGAs miteinander vernetzt – was ja geplant ist –, bringt man eine neue Qualität ins Gesundheitswesen.
Die DiGAs sollen ihre Daten, so ist es im Gesetz vorgesehen, direkt in die elektronische Patientenakte schreiben. Wie weit ist da die Entwicklung?
Leyck Dieken › Aktuell sind etwa zehn Apps zugelassen, und wir bereiten uns darauf vor, dass diese ihre Daten direkt in die ePA übertragen können. Zusätzlich muss auch auf der Seite des Arztes die Möglichkeit geschaffen werden, dass er diese Apps mit ihren Daten nutzen kann, ohne eine weitere Software öffnen zu müssen.
»Wir streben jetzt eine nationale Plattform an, bei der sich alle auf gemeinsame Standards einigen, sodass jede App eingebettet werden kann.«
Dr. Markus Leyck Dieken
Sie sprechen ein wichtiges Thema an: Von der Praxissoftware über die Smart Watch bis zur Gesundsheitsapp sollen zahlreiche Angebote Hand in Hand funktionieren. Wie kann das klappen?
Elbel › Genau deshalb ist die Rolle der gematik so wichtig. Anders als in England oder Dänemark, wo der Staat eine zentrale Akte aufbauen kann, haben wir in Deutschland ein historisch gewachsenes Gesundheitssystem mit unabhängigen Akteuren. Ihre Systeme müssen die Daten austauschen können, also interoperabel sein. Das ist die große Herausforderung für die Zukunft.
Leyck Dieken › Meiner Meinung nach ist die Interoperabilität der Hauptgrund, warum Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen so hinterherhängt. Wir haben es uns erlaubt, digitale Angebote isoliert wachsen zu lassen. Diese sind zwar gut durchdacht, wurden aber sehr fokussiert gebaut und stehen damit oft für sich. Zudem haben wir zugelassen, dass proprietäre IT-Standards entstehen, die mit keinem anderen Land anbindungsfähig sind. Wir streben jetzt eine nationale Plattform an, bei der sich alle auf gemeinsame Standards einigen, so dass jede App eingebettet werden kann.
Welche Hürden müssen gemeistert werden, um das Gesundheitswesen in Deutschland verantwortungsvoll zu digitalisieren?
Leyck Dieken › Wichtig ist, dass wir auf einer gemeinsamen Plattform tätig sind. Wir als gematik arbeiten gerne mit dem Bild einer Arena: Wir sind nicht davon überzeugt, dass Digitalisierung staatsplanerisch funktioniert. Stattdessen sollte es viele Spieler am Markt geben, aber eben auch eine Art Stadion, in dem das Spiel nach gemeinsam vereinbarten Regeln läuft. Dann wissen die Nutzer, dass die Mannschaften im Stadion nicht foulen, also Daten missbrauchen. Trotzdem sollte im Stadion selbst – im übertragenen Sinn – jedes Spiel gespielt werden können, sei es American Football, Golf oder Fußball.